Als Übersetzer setzt man sich nicht nur mit der Sprache auseinander. Vielmehr muss man auch die kulturellen Gegebenheiten der jeweiligen Sprachräume kennen. Nur durch kulturspezifische Kenntnisse ist es möglich, kulturellen Missverständnissen vorzubeugen.
Diesem sehr spannenden Thema möchte ich in meinem Blog einen eigenen Bereich widmen. In der Kategorie „Kultur“ werde ich Ihnen die tschechische und polnische Kultur näher bringen. Ich möchte Sie sowohl aus den historischen als auch den aktuellen Aspekten beleuchten. Hier erfahren Sie vieles über die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und anderen gesellschaftlichen Ereignisse und vom Sprachwandel in Tschechien und Polen. Dadurch wird deutlich, in welchem Maße kompetente Übersetzer und Dolmetscher durch ihre Arbeit zur kulturellen Verständigung beitragen.
Beginnen möchte ich mit dem von mir verfassten Artikel, den Sie vielleicht schon von meiner Webseite kennen. Dieser Artikel bietet sich gut als Einstieg an, da er die polnischen Bräuche und Gewohnheiten kurz vorstellt und Ihnen Tipps zum Verstehen der polnischen Mentalität gibt. Dabei stört es nur wenig, dass der Artikel eigentlich aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine geschrieben wurde. Die beschriebenen Gewohnheiten sind auch nach der Meisterschaft gleich geblieben und gelten nicht nur für Fußballfans. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Spaß beim Lesen!
________________________________________________________
Zu Gast bei Freunden
Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine
Nun ist es wieder so weit, die nächste Fußball-Europameisterschaft ist da. Diesmal findet die Mistrzostwa Europy w Piłce Nożnej 2012 bzw. ЧемпіонатЄвропизфутболу2012in Polen und der Ukraine statt. Dieses sportliche Großereignis bietet eine gute Gelegenheit, die polnischen Bräuche und Gewohnheiten kurz vorzustellen.
Sollten Sie mal – sei es als Fußballfan oder als Tourist – einen Besuch bei Ihren polnischen Freunden planen, können Ihnen folgende Tipps beim Verstehen der polnischen Mentalität behilflich sein, Sie vor Missverständnissen bewahren und das unangenehme Treten ins Fettnäpfchen vermeiden.
Die Polen sind zunächst einmal ein sehr gastfreundliches Volk. Mit Sicherheit werden Sie von Ihren polnischen Freunden, Bekannten oder Verwandten nach Hause eingeladen. Dort erwartet Sie viel Essen und trinken. Bedienen Sie sich! Das Verweigern von Speis und Trank gleicht einer hundertprozentigen Missachtung des Gastgebers. Die polnische Hausherrin wird Ihnen alle selbst gemachten Leckereien servieren, die sie im Haus findet. Der polnische Hausherr wird mit Bier und selbstverständlich Wodka nicht geizen. Trinken Sie mit oder nippen Sie wenigstens an Ihrem Wodkaglas. Ausreden jeglicher Art könnten die Gastgeber als Beleidigung auffassen. Essen Sie nicht zu viel vor Ihrem Besuch. Denn mehrere Gänge und viel Fleisch sind vorprogrammiert, selbst wenn Sie eigentlich nicht zum Essen eingeladen waren. Im Polen zeigt die Menge an Fleisch auf dem Tisch, wie wohlhabend eine Familie ist.
Ihren Gastgebern sollten Sie ein Geschenk mitbringen. Gerne etwas Typisches aus Ihrer Region, für die Damen einen Blumenstrauß. Achten Sie aber bitte auf die ungerade Anzahl an Blumen.
Auch wenn Sie großen Hunger und Durst mitbringen, sollten Sie nicht zu früh kommen. Es könnte Ihre Gastgeber in Verlegenheit bringen, wenn sie mit der Vorbereitung des großen Festes für ihre deutschen Freunde noch nicht hundertprozentig fertig sind. Unpünktlichkeit ist jedoch ebenso unhöflich. Das akademische Viertel ist genau das Richtige für alle Beteiligten.
Beim Begrüßen gibt es einiges zu beachten. In Polen zieht man die Straßenschuhe aus, bevor man die Wohnung betritt. Außerdem begrüßt man sich draußen vor der Tür oder drinnen, aber niemals direkt an der Türschwelle, da das Unheil ins Haus bringt. Die Herren reichen sich die Hand mit einem festen Druck. Die Damen küssen sich dreimal an den Wangen. Den Herren reichen die Damen ihre Hand zu einem angedeuteten Kuss. Zumindest bei der älteren Generation ist der Handkuss eine unverzichtbare Form der Höflichkeit.
Überhaupt sind die Polen sehr höflich. Vor allem den Frauen und den älteren Menschen gegenüber. In der Straßenbahn stehen Jüngere auf und überlassen den Älteren ihren Platz. Die Männer helfen den Frauen in den Mantel oder aus dem Auto, machen ihnen die Tür auf, rücken der Dame den Stuhl zurecht und stehen auf, wenn sie aufsteht.
Doch wie wollen Sie sich mit Ihren Gesprächspartnern unterhalten? Polnisch ist mit sieben Fällen, komplizierten Aspektsystem und der Kombination von Zischlauten eine besonders schwere Sprache. Nicht mal die Namen hört man in einem sehr schnell anmutenden Wortfluss heraus. Kein Wunder, denn selbst die Namen werden dekliniert und dann noch verkleinert. So wird aus Aleksandra auf einmal Ola, im im Dativ sogar Oli und im Akkusativ Olę, aus Barbara Basia oder aus Tomasz Tomek. Doch keine Angst. Viele Polen sprechen Deutsch, die junge Generation vor allem Englisch.
Das Ansprechen mit Nachnamen gilt als sehr distanziert, ja fast unhöflich. Das Siezen in Verbindung mit dem Vornamen ist beispielsweise bei Kollegen besser geeignet. Aus „Frau Nowak“ (poln. „Pani Nowak“) wird somit „Frau Katarzyna“ (poln. „Pani Katarzyna“). Bei noch vertrauterem Verhältnis „Pani Kasia“. Im Familien- und Freundeskreis wird dann natürlich geduzt, sehr gerne mit den Kosenamen.
Die Polen trinken gerne Brüderschaft. Doch dieser Brauch hat Konsequenz: man muss sich unbedingt den Namenstag des polnischen „Bruders“ merken, um ihn gratulieren zu können. In keinem anderen Land hat der Namenstag eine solche Bedeutung wie in Polen. Bei Familienfeiern oder an kirchlichen Feiertagen wie Ostern und Weihnachten ist schickere Kleider Pflicht.
Nach dem vielen (Wodka)Trinken ist der Gang zur Toilette unvermeindlich. Doch seien Sie nicht irritiert, wenn Sie im Restaurant vor zwei Türen stehen, die mit einem Dreieck und einem Kreis markiert sind. Der Kreis weist auf die Damentoilette, das Dreieck auf die Herrentoilette hin.
Die Polen mögen Symbole und sind sehr abergläubig. Neben den bereits erwähnten Pechbringern, gibt es eine ganze Reihe anderer Gewohnheiten, die das Unheil fernhalten sollen. Die Damen sollen beispielsweise ihre Handtasche nicht auf den Boden stellen, da sie ansonsten das ganze Geld verlieren könnten.
Neben dem Aberglauben spielt jedoch auch der Glaube an Gott eine besonders wichtige Rolle im ganzen Leben eines Polen. 95% der Polen sind Katholiken. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie Sonntagvormittag durch leere Straßen laufen – vor allem in kleineren Städten und Dörfern. An diesem Tag versammeln sich alle in der Kirche zu einer Sonntagsmesse. Auch „ihren“ Papst werden Sie überall antreffen. Der verstorbene Johannes Paul II. ist in den Augen der meisten Polen nicht nur der höchste Vertreter der heiligen Kirche gewesen, sondern auch der unermüdliche Kämpfer gegen die kommunistischen Besatzer Polens und der Kritiker des Regimes. Viele Polen haben in ihrem Geldbeutel neben dem Foto ihres Partners und ihrer Kinder das Bild des polnischen Papstes. Auch die heilige Madonna erfreut sich einer sehr großen Beliebtheit.
Vermeiden Sie also Gespräche über die Fehler dieses großen Mannes. Ein weiteres Gesprächstabu sind Polenwitze, Geschichten über gestohlene Autos und polnische Diebe. Sprechen Sie lieber über die wunderschöne Natur in Polen, die Masurischen Seen beispielsweise, über die berühmten polnischen Komponisten oder die großartige polnische Literatur. Die gebildeten polnischen Gesprächspartner sind bestens nicht nur über die eigene Geschichte informiert. Selbstverständlich wird man sich mit Ihnen auch mit Freude über Fußball und andere Sportarten unterhalten. Seien Sie offen und lassen Sie sich von der Begeisterung, die das ganze Land während dieser Europameisterschaft ausstrahlt, anstecken. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei Ihrem Besuch in Polen.
________
Foto: UggBoy♥UggGirl [ PHOTO // WORLD // TRAVEL ] – [ Beautiful Old Town District : Simply Delicious at all times ] Warsaw, Poland; Some rights reserved; Quelle: www.piqs.de
3 Kommentare
[…] Dolmetschbar-Blog Aktuelles & Fachwissen aus der Dolmetsch- und Übersetzungspraxis Springe zum Inhalt HomeÜber Dolmetschbar-BlogImpressum ← Zu Gast bei Freunden in Polen […]
Ich freue mich über Ihren Besuch auf meinem Blog! Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, teilen Sie ihn doch mit anderen und hinterlassen Sie Ihre Meinung.
Ein sehr interessanter Beitrag über die polnischen Bräuche und Gewohnheiten. Da ich früher auch als Übersetzer arbeitete, kann ich zustimmen, dass man auch die kulturellen Gegebenheiten der jeweiligen Sprachräume kennen muss. Ich bin zwar in Polen schon mehrmals gewesen, Polnisch spreche ich aber nicht. Ich kann es nur einigermaßen verstehen.