Anfang August fand in Berlin das größte diesjährige Ereignis der Sprachmittlerbranche statt. Auf dem 20. Weltkongress der Fédération Internationale des Traducteurs (FIT) trafen sich über 1600 Kongressteilnehmer aus über 70 Ländern im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin. Diese dreitägige internationale Veranstaltung direkt vor der Haustür konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Nachdem meine Berlin-Kollegin Susanne Schmidt-Wussow den ersten Artikel über den FIT-Kongress in ihrem Blog „300 words“ verfasst hat, folge ich mit meinen Eindrücken zu diesem alle drei Jahre stattfindenden Fachkongress.
Men vs. Machine
Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Im Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine“, „Men vs. Machine“ bzw. „Homme ou machine : Le dilemme de la traduction“ – je nach Sprache also unterschiedlich. Meiner Meinung nach ist die Aussagekraft dieser Titel jeweils eine andere, zumal auf den großen Plakaten, den Flyern, im Programmheft usw. die von mir hier fett markierten Worte deutlich größer geschrieben wurden und dadurch hervorstachen. Sind die Maschinen Hilfsmittel für den Menschen oder stellen sie eher eine Bedrohung dar, die die Menschheit befürchten muss? Natürlich sollten genau diese Fragen während des Kongresses diskutiert werden, der Titel suggeriert jedoch, dass in der deutschsprachigen Welt die Menschen und Maschinen aufeinander einwirken und sich gegenseitig beeinflussen, während sie im englischen Sprachraum gegeneinander kämpfen und die frankophone Welt keine Alternativen zulässt. Auf eine andere sprachliche Unstimmigkeit in der Präsentation der FIT hat die Übersetzerin Miriam Neidhardt in ihrem Blogartikel hingewiesen und die fehlerhafte Schreibweise des Adjektivs „willkommen“ moniert.
Maschinelle Übersetzung
Hauptthema des Kongresses war die maschinelle Übersetzung. Sicherlich ist die von Computern erstellte Übersetzung ein sehr spannendes Thema, mit dem wir Humanübersetzer uns auseinander setzen müssen, für meinen Geschmack hat jedoch dieses Thema auf dem Kongress zu viel Raum eingenommen. Dadurch hatte ich den Eindruck, immer wieder die gleichen Schwerpunkte vermittelt zu bekommen. Obwohl die maschinelle Übersetzung nur sehr wenig mit meiner Berufspraxis als Übersetzerin und Dolmetscherin zu tun hat, wollte ich mich dieser Problematik dennoch nicht verschließen und habe mir den einen oder anderen Vortrag und die Podiumsdiskussion angehört. Nicht zu leugnen ist, dass die maschinelle Übersetzung einen spürbaren Fortschritt gemacht hat. Dennoch ist es noch ein langer Weg, bis die maschinelle Übersetzung so weit ist, dass ich als freiberufliche Übersetzerin für Tschechisch und Polnisch nur von Maschinen erstellte Übersetzungen überprüfen werde.
Marketing und Social Media
Interessanter fand ich daher Kongressbeiträge und Diskussionen, die mehr mit meiner Berufspraxis zu tun haben. Vor allem Vorträge und Workshops zum Thema Marketing und Social Media kristallisierten sich für mich als ein Anziehungsmagnet heraus. Ich übersetze viele juristische Fachtexte und interessiere mich daher für Rechtssysteme und die Problematik beim Übersetzen von Rechtstexten. An den drei Kongresstagen bin ich dazu jedoch auf keinen einzigen interessanten Beitrag gestoßen.
Referenten
Das Niveau der einzelnen Vorträge war durchaus unterschiedlich. Sehr humorvoll trug beispielsweise der Polnisch-Kollege Jerzy Czopik seinen Vortrag über die Wichtigkeit der unwichtigen Dinge vor. Während manche Referenten durch Kompetenz überzeugten, wirkten andere eher überfordert und an ein freies Vortragen war nicht zu denken. Aber das ist bei so einem großen Kongress wohl eher normal, schließlich wird es unmöglich sein, eine derartige Branchenveranstaltung ausschließlich mit Key-Note-Speakern wie Chris Durban zu füllen. Zumal bekannte Redner nicht daran gewöhnt sind, den kompletten Konferenzbeitrag selbst zu bezahlen, um überhaupt vortragen zu dürfen. Die Selbstzahlung des Konferenzbeitrages hatte jedoch zur Folge, dass die Referenten ausschließlich aus den Reihen der Übersetzer, Dolmetscher, Terminologen, CAT-Tools-Hersteller, Dozenten und Wissenschaftler der Translatologie, Computerlinguistik und ähnlich verwandter Berufszweige kamen. Ich persönlich würde es viel interessanter finden, die Sichtweise von Berufsfremden vermittelt zu bekommen. Wie wird unser Beruf von außen wahrgenommen, was wird von uns erwartet? Warum lassen wir uns beispielsweise nicht Social Media Marketing von einem Marketing-Experten erklären?
Anfänger versus Fortgeschrittene
Auffallend war, dass die Referenten bei den Kongressteilnehmern einen unterschiedlichen Kenntnissstand voraussetzten. Dies hatte zur Folge, dass man im Workshop von Susanne Schmidt-Wussow hilfreiche Tipps für Marketing bei Verlagen erhielt, während man bei einem anderen den Begriff Elevator Pitch und reine Grundlagen erklärt bekam. Mein Vorschlag für künftige Kongresse, Konferenzen und Veranstaltungen wäre daher, im Voraus festzulegen, für welche Zielgruppe der Beitrag vorgesehen ist und welche Vorkenntnisse erwartet werden. Dadurch lässt sich bestimmt viel Frustration auf beiden Seiten vermeiden.
Netzwerken
Am Ende des dreitätigen Kongresses stellte ich fest, dass für mich persönlich das Netzwerken mit den anwesenden KollegInnen noch viel wichtiger war, als die Vorträge selbst. Ich habe teilweise sogar nach Jahren KollegInnen wiedergetroffen. Bei anderen, mit denen ich über verschiedene Social-Media-Kanäle im Kontakt bin, bot so ein Kongress die hervorragende Möglichkeit, sie endlich persönlich kennenzulernen. Ich habe aber auch neue und interessante Menschen aus aller Welt kennengelernt. Die Möglichkeit des gegenseitigen Austausches über branchenspezifische Themen, aber auch die nette Unterhaltung mit Kollegen aus der ganzen Welt möchte ich nicht missen. Sehr positiv hervorzuheben sind daher die relativ langen Pausen zwischen den einzelnen Sessions, in denen genügend Zeit zum Networking blieb. Nur bei den Beachflags, welche auf die Treffpunkte für verschiedene Sprachen, Fachbereiche und Social-Media-Kanäle hinweisen sollten, war ich sehr enttäuscht, dass es keine für die slawischen Sprachen gab.
Sommerfest
Dafür halte ich das Sommerfest am Dienstagabend für relativ gelungen. Schön fand ich, dass auch Begleiter der Kongressteilnehmer freien Zutritt auf das Gelände des Henry-Ford-Bau erhielten, um den 60. Geburtstag der FIT zusammen zu feiern. Als Höhepunkt der Party stiegen rund 1500 Luftballons in den Himmel über Berlin. Davon, dass das Bier vor dem offiziellen Ende der Feier ausgegangen sein soll, habe ich nichts mitbekommen. Dafür aber vom doppelten Schlangestehen (erst für den Kauf von Verzehrgutscheinen, dann für die Abholung der Speisen bzw. Getränke), was eher lästig war.
Catering
Dass das Essen an diesem Abend eher an ein Straßenfest erinnerte, könnte ich noch verzeihen. Warum es aber an den Kongresstagen nichts Vernünftiges gab außer zwei Suppensorten (am ersten Tag) und Currywurst, Fleischkäse und Bratwurst (am zweiten Tag), kann ich nicht nachvollziehen. Die bereits nach kurzer Zeit vergriffenen Salate und die verhältnismäßig wenigen, mit Käse belegten Brötchen sind eindeutiger Beweis für schlechte Organisation. Warum die Essensausgabe wie früher in der Schule erst Punkt halb eins beginnt, wenn der ganze Ansturm kommt, ist nicht nachvollziehbar. In diesem Punkt hat sich Deutschland bei seinen Gästen aus der ganzen Welt nicht als besonders guter Gastgeber präsentiert.
Dank an die DolmetscherInnen
Hervorragende Arbeit hingegen haben die vielen freiwilligen DolmetscherInnen geleistet, die bei den Veranstaltungen in den großen Hörsälen ins Deutsche, Englische und Französische simultan gedolmetscht haben.
Resolution
Bei der Abschlussveranstaltung schlossen sich die Kongressteilnehmer der von den Mitgliedsverbänden verabschiedeten Resolution mit großem Applaus an, in der die nationalen Regierungen und die internationale Gemeinschaft aufgefordert werden, sich für den Schutz der in Krisengebieten arbeitenden DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen einzusetzen. Zu diesem wichtigen Thema und der Bedrohung der Afghanisch-Dolmetscher habe ich bereits einen Blogartikel geschrieben.
FIT-Blog
Als sich der Präsident des Bundesverbandes für Dolmetscher und Übersetzer e. V. (BDÜ) als Ausrichter des diesjährigen FIT-Kongresses bei den Organisatoren sowie den Helfern für die gelungene Veranstaltung bedankte (trotz der oben erwähnten Kritikpunkte geht auch mein Dank an sie), wurde ich ebenfalls als die für den FIT-Blog verantwortliche Chefredakteurin auf die Bühne gebeten. Die Würdigung meiner über siebenmonatigen intensiven Arbeit an diesem FIT-Blog in Zusammenarbeit mit einem kleinem Redaktionsteam hat mich sehr erfreut.
Mein Vortrag
Bereits im Vorfeld des Weltkongresses habe ich mich gefreut, als mein Vortrag „Erfolgreich als Übersetzer & Dolmetscher „kleiner“ Sprachen“ aus einer großen Anzahl an eingereichten Beiträgen ausgewählt wurde. Ich habe diese Möglichkeit genutzt, um den interessierten Zuhörern Tipps aus meiner Berufspraxis zum erfolgreichen Management beim Übersetzen und Dolmetschen sog. kleiner Sprachen zu geben. Auch jetzt noch – zwei Wochen nach dem Vortrag – erreichen mich E-Mails und Kontaktanfragen von begeisterten Zuhörern, die sich für die vorgestellten Tipps und den interessanten Vortrag bedanken. Schon wegen dieses durchgehend positiven Feedbacks hat sich der FIT-Kongress für mich auf jeden Fall gelohnt.
2 Kommentare
Hallo Iva,
vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht zum FIT-Kongress.
Zum Catering muss ich sagen, dass es an den Ständen auf der anderen Seite der Freifläche neben den Suppen auch verschiedene asiatische Currygerichte mit oder ohne Reis gab und noch andere Sachen, von denen ich aber nicht probiert habe. Mir hat das Curry jedenfalls geschmeckt, auf die Bratwurst habe ich verzichtet.
Dein Vortrag hat mir übrigens gut gefallen und viele Anregungen gegeben, ich übersetze aus der kleinen „exotischen“ Sprache Niederländisch (die belgische Variante Flämisch).
Gruß aus Gent
Maja
Hallo Maja,
es freut mich sehr, dass dir mein Vortrag gefallen hat und vor allem, dass du Anregungen für dich finden konntest.
Es kann sein, dass es neben den Suppen auch andere Gerichte zum Mittagsessen gab, ich hatte aber keine Lust noch an einer weiteren Schlange anzustehen :-).
Grüße aus Berlin
Iva